Bundespräsident Gauck in Chile vom 11. bis 14. Juli 2016

Juli 20th, 2016 | Chile Allgemein


Vom 11. bis 14. Juli 2016 reiste der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck mit seiner Lebensgefährtin Daniela Schadt nach Chile. Neben politischen Gesprächen mit der Staatspräsidentin Michelle Bachelet, Parlaments- und Regierungsvertretern und der Judikative standen Gespräche mit Vertretern der Zivilgesellschaft auf dem Programm, in deren Mittelpunkt unter anderem Fragen über die Herausforderungen der Demokratie in Chile standen.

Ein wichtiges Ziel seines Besuches war die Kritik an den deutschen Versäumnissen in Zusammenhang mit der totalitären Sekte Colonia Dignidad in den 60er Jahren, eine Siedlung gegründet und geleitet von dem Deutschen Paul Schäfer. Auch zu den Verbrechen in der Siedlung Colonia Dignidad während der Militärdiktatur von Augusto Pinochet (1973 – 1990) äußerte sich Gauck. Es ging darum, dass zu jener Zeit die Opfer von Unterdrückung, Folter und Missbrauch von deutschen Diplomaten keinen Schutz erfahren haben.

Nach der Freigabe der deutschen Akten durch Außenminister Steinmeier war es ein Anliegen Gaucks, diese Schuld zu erwähnen und sich vor den Opfern zu verneigen. Er sagte, es „sei erschreckend, was Demokraten zu verschweigen und zu verdrängen vermochten“. Angehörigen der Opfer aber war diese Geste nicht genug. Sie reagierten enttäuscht, weil der Präsident einerseits nicht mit ihnen selbst, sondern nur mit Vertretern der Zivilgesellschaft gesprochen hatte und andererseits, weil die Bundesregierung keinen Anspruch auf Entschädigung und Wiedergutmachung deutlich machte.

Hintergründe:

Im Jahr 1961 wanderte der Jugendpfleger und Laienprediger Paul Schäfer, der in Deutschland von Polizei und Staatsanwaltschaft des Kindesmissbrauchs beschuldigt wurde, mit vielen seiner Anhänger nach Chile aus. In einer hermetisch abgeschlossenen und streng bewachten Siedlung im Süden Chiles führte er ein totales Regiment, entführte Kinder dorthin, hielt enge Kontakte zu rechtsextremen Gruppen und unterstützte 1973 den Militärputsch von Pinochet. Er beschaffte Waffen aus Deutschland und ließ Pinochets Geheimdienst auf seinem Gelände Regimegegner und Kritiker foltern und umbringen.

Die Siedlung Colonia Dignidad erschien nach außen als ein vorbildlicher Landwirtschaftsbetrieb mit deutsch-volkstümlichem Charakter. Die Bewohner traten bei offiziellen Anlässen mit deutschen Trachten und Musikdarbietungen auf. Für Chilenen war der Besuch des Internats und die Behandlung im Siedlungskrankenhaus kostenlos, und so wurde die Siedlung als gemeinnützig bezeichnet.

Besucher waren auf dem mit Stacheldraht eingezäunten Gelände unerwünscht, und so wussten viele Chilenen, die ihre Kinder dort in die Schule oder zu Behandlung im Krankenhaus brachten nicht, was wirklich hinter der Fassade geschah. Viele entdeckten schwere Misshandlungen an den Kindern, und manche sahen ihre Kinder viele Jahre nicht wieder. Die entführten Kinder und auch die Kinder der dort lebenden Eltern, meistens Jungen, wurden von ihm und von anderen Sektenmitgliedern gequält und regelmäßig sexuell missbraucht.

Die chilenischen Eltern haben keine Hilfe seitens des Staates Chile erhalten.
Durch das gut durchdachte System von religiöser Gehirnwäsche, psychischer Erpressung und physischem Zwang war es auch für Erwachsene fast unmöglich, aus dem Gelände zu entkommen.
Niemand glaubte den wenigen, die fliehen konnten, und die Deutsche Botschaft schickte sie bis 1985 immer wieder zurück in die Siedlung.

Deutsche Politiker pflegten Kontakte zu der Kolonie, die eine eigene Flugzeuglandebahn und unterirdische Bunker besaß. Die anklagenden Berichte von Amnesty International und der Uno wurden nicht gehört.

In den 90er Jahren wurde von der chilenischen Justiz ein Haftbefehl gegen Paul Schäfer erlassen, daraufhin tauchte er 1997 nach einer Warnung mit seinen engsten Mitarbeitern unter. 2004 wurde er wegen Misshandlung und Missbrauch von Kindern zu 20 Jahren Haft verurteilt (Urteil im Original in spanischer Sprache), in Argentinien festgenommen und zu weiteren 13 Jahren wegen Steuerhinterziehung, Zollbetrug, Entführung, Zwangsadoption und Verstößen gegen das Arbeitsgesetz verurteilt.

Paul Schäfer starb 2010 im Gefängnishospital in Santiago de Chile.